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Dokumentation

„Die offenen Wunden sind eine bleibende Beunruhigung“

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung am Karfreitag, 2. April, im Würzburger Kiliansdom

Franziskus, der Mensch mit den Wundmalen Christi

Nachdem wir gestern am Gründonnerstag über die tiefe Liebe des heiligen Franziskus zur Eucharistie nachgedacht haben, geht es heute am Karfreitag um einen besonderen Zug im Leben des Franziskus, der alle Menschen seit Jahrhunderten beschäftigt. Franziskus empfängt am Ende seines Lebens auf geheimnisvolle Weise die Wundmale Christi, die er am eigenen Leib trägt.

Der heilige Bonaventura schreibt in seiner Franziskus-Biographie:

Als er an einem Morgen um das Fest der Kreuzerhöhung an der Seite des Berges betete, sah er die Erscheinung eines Seraphs aus Himmelshöhen herabkommen. Der Seraph hatte sechs leuchtende feurige Flügel, flog in raschem Flug herbei und schwebte nahe dem Gottesmann in der Luft. Franziskus sah, dass er nicht nur Flügel hatte, sondern auch gekreuzigt war. Bei seinem Anblick erschrak er heftig. Schmerz und Freude erfüllten sein Inneres. Denn die gnadenvolle Erscheinung Christi, der sich wunderbar und vertraut zeigte, beseligte ihn mit unsagbarer Freude; die grausame Annagelung ans Kreuz, die er schaute, durchbohrte jedoch seine Seele mit dem Schmerz des Mitleids. Als die Erscheinung nach himmlischer und trauter Zwiesprache von ihm schied, hatte seraphische Glut seinen Geist innerlich so entflammt und seinen Leib äußerlich mit dem Bild des Gekreuzigten so gezeichnet, als ob die feurige Glut ihm ein Siegel aufgeprägt hätte. Sogleich zeigten sich nämlich an seinen Händen und Füßen die Male der Nägel. Seine rechte Seite schien von einer Lanze durchstochen, und eine rote Wunde zeigte sich an ihr; aus ihr floss oft heiliges Blut hervor.

Kreuzerhöhung

Schauen wir uns den Text ein wenig näher an. Am Fest der Kreuzerhöhung meditiert Franziskus über das Geheimnis des Kreuzes. Das Kreuz, besser der Gekreuzigte hat seinen Lebensweg aber von allem Anfang an begleitet. Nachdem der gekreuzigte Christus in der Kirche von San Damiano ihn aufgerufen hatte, seine Kirche wiederaufzubauen, wurde Franziskus im Innersten angerührt. Es heißt in einer Lebensbeschreibung:

Von dieser Stunde an war sein Herz verwundet und wie aufgelöst im Gedächtnis an das Leiden des Herrn. So trug er, solange er lebte, immer die Wundmale des Herrn in seinem Herzen, wie dies dann auch die Erneuerung dieser Wundmale an seinem Körper offenkundig machte.

Was Franziskus also am Fest der Kreuzerhöhung gegen Ende seines Lebens widerfährt, hatte einen langen Vorlauf. Seinen ganzen Weg der Nachfolge verstand er als Nachfolge des gekreuzigten Herrn. Wie der arme Christus wollte er arm sein. Den hilflosen Christus erblickte er in den Armen. Den geschändeten Christus entdeckte er in einer Kirche, die in seinen Augen und den Augen vieler Zeitgenossen das Evangelium verraten hatte.

Begegnung mit dem Seraph

Am Fest der Kreuzerhöhung sieht er also einen Seraph. Seraph heißt übersetzt „Brennend“. Denn es sind die Engel, die unmittelbar an Gottes Thron stehen und vom leidenschaftlichen Eifer für Gott brennen, ganz Feuer sind. Dieser leidenschaftliche Eifer zeigt sich im gekreuzigten Christus. In ihm offenbart Gott seine Liebe zur Welt. Was Franziskus schon immer lebte und was er wollte, dem gekreuzigten Herrn nachzufolgen, das spürte er nun in einer gegensätzlichen Empfindung: Freude über die Offenbarung einerseits und tiefer Schmerz über das Leiden des Herrn. So ein tiefer Schmerz, dass er sich ihm gleichsam einbrannte: innerlich von der Leidenschaft für Gott entbrannt; äußerlich gezeichnet von den Wundmalen Christi.

Sein Biograph sagt genauer: nicht nur gezeichnet von den Wundmalen, sondern versiegelt. Franziskus trägt das Siegel Gottes, er wird zum Siegel Gottes, mit dem die Echtheit unserer Erlösung besiegelt wird. Denn in Christus hat Gott alles menschliche Leiden auf sich genommen und getragen. Die bleibenden Wundmale des auferstandenen Herrn bezeugen das in alle Ewigkeit. Was die Kirche am Fest der Kreuzerhöhung feiert, das wird ihm zur persönlichen Lebenswirklichkeit. Seine Verehrung des Kreuzes macht ihm dem Gekreuzigten ähnlich.

Doch was bedeutet für uns, dass Franziskus die Wundmale empfangen hat? Fünf kurze Punkte dazu, entsprechend den fünf Wundmalen.

Mystische Gnaden einer persönlichen Christusnachfolge

Als erstes ist festzuhalten: der Weg des Franziskus ist einzigartig. Der Empfang der Wundmale war für ihn der Abschluss eines Lebenswegs, auf dem er konsequent dem leidenden Herrn nachgefolgt war. Was er innerlich lebte, zeigte sich am Ende seines Lebens auch äußerlich an seinem Leib. So etwas kann man nicht und muss man auch nicht nachahmen.

Keine Verherrlichung einer selbstzerstörerischen Leidensmystik, sondern Mit-Leid

Als zweites ist klarzustellen, dass es sich bei dem Empfang der Wundmale nicht um eine selbstquälerische oder selbstzerstörerische Leidensmystik handelt, so als ob das Leiden einen Zweck oder Sinn an sich hätte. Das hat es nicht. Würde man es so verstehen, hätte man auch Franziskus falsch verstanden. Ihm ging es nicht um die Verherrlichung des Leids, sondern um das Wahrnehmen des Leidens Christi in der Welt, das ihm persönlich so nahe ging, dass er es am eigenen Leib zu spüren bekam.

Es ist eine Gnade, das mitfühlen zu können gegen alle Hartherzigkeit und Gefühllosigkeit

Ein drittes. Der Empfang der Wundmale war eine mystische Gnade. So etwas kann man nicht machen. Es ist ein Geschenk, wenn jemand ein empfindsames und mitfühlendes Herz hat. Meist geschieht das erst, wenn man das Leid am eigenen Leib erfahren hat, wenn man also wie Franziskus in der ein oder anderen Weise selbst gezeichnet ist vom Leiden, sei es durch eine Krankheit, durch den Verlust eines lieben Menschen oder einen Schicksalsschlag. Erst der Verwundete weiß um den Schmerz, den andere empfinden, und kann mitfühlen.

Offene Wunden

Ein viertes. Die Wunden des Franziskus sind offen, ohne todbringend zu sein. Aber sie heilen nicht einfach ab, sondern bleiben. Ein wichtiges Kennzeichen der Stigmata, wie man die Wundmale auch nennt. Gerade das Offenbleiben verursacht zum einen Schmerzen. Zum anderen aber erinnert es an die vielen offenen Wunden in dieser Welt, die sich einfach nicht schließen wollen oder nicht schließen lassen. Im persönlichen Leben sind es Verwundungen und Verletzungen, die wir mit uns schleppen als Last, die wir gerne loshätten. Im Leben der Völker sind es nicht enden wollende Kriege mit traumatisierten Generationen, die die Konflikte immer weitertragen, so dass sie nie aufzuhören scheinen. Es sind aber auch die Wunden unserer ganzen Schöpfung, von denen wir nicht wissen, wie menschliche Anstrengung sie jemals heilen könnte.

Die offenen Wunden sind eine bleibende Beunruhigung. Wer um sie weiß, kann sich nicht einfach zur Ruhe setzen oder darüber hinweggehen. Sie erinnern immer wieder auf unangenehme Weise an das viele Unerlöste in der Welt, das nach Heilung ruft.

Sensibilität für Stigmatisierte

Ein fünftes. Wundmal heißt auf Griechisch „Stigma“. Das ist zum Fachbegriff in der Soziologie geworden. Mit Stigma bezeichnet man ein negatives Kennzeichen. Stigmatisierte Personen sind Menschen, die ausgegrenzt werden, weil sie ein Merkmal aufweisen, das gesellschaftlich oder politisch oder religiös nicht akzeptiert ist. Franziskus, der Stigmatisierte, hatte eine besondere Sensibilität für alle Stigmatisierten: die Bettler, die Aussätzigen, die Gescheiterten, die Menschen am Rande. Ihnen fühlte er sich besonders verbunden.

Damit wird er auch zur Mahnung für die Kirche. Zum einen erinnert er daran, Menschen nicht zu stigmatisieren, sie also in verletzender Weise auszugrenzen. Zum anderen aber gab er ein Beispiel, wie man barmherzig und einfühlsam mit Menschen umgeht, die verletzt worden sind. Die Opfersensibilität wurde sein Kennzeichen, gerade das also, was wir nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle in der Kirche lernen mussten, dass die Sensibilität für die Betroffenen einfach außerhalb des Blickes geraten war. Das verpflichtet dazu, Menschen vor Ausgrenzung zu bewahren und immer wieder den Finger in die Wunden der Gesellschaft, aber auch der Kirche zu legen, wo solches geschieht. Gerade die Wunden werden für Franziskus zur Offenbarung Gottes und zum Anruf an die Kirche.

Das Gebet vor dem Kreuz

Wir beten dich an Herr Jesus Christus in allen Kirchen dieser Welt und preisen dich, denn durch dein heiliges Kreuz hast du die Welt erlöst.

So hatte Franziskus immer wieder in den Kirchen vor dem Kreuz des Herrn gebetet. Wenn wir am heutigen Karfreitag jetzt gleich das Kreuz in unserer Mitte erhöhen, dann preisen wir den Herrn, der das Leid der Welt getragen und auf sich genommen hat. Zugleich bitten wir darum, wie Franziskus zu einfühlsamen und mitleidenden Menschen zu werden, die um ihre eigenen Verwundungen wissen und sie dem Herrn anvertrauen und die ein waches Gespür entwickeln für die Wunden der ganzen Welt.

In den großen Fürbitten wollen wir vor allem heute auch der Verwundungen und der Verwundeten gedenken, die die Corona Pandemie über unser Land und die ganze Welt gebracht hat.