Die Einladung, zum Haus des Herrn zu ziehen
Der Heilige Vater, Papst Franziskus - Gott hab ihn selig! - , hat das Heilige Jahr 2025 unter das Motto gestellt: „Pilger der Hoffnung“. Zu diesem Motto passt wunderbar unser Predigttext, Psalm 122. Denn der Psalm ist ein Wallfahrtslied. Der Beter erzählt gleich zu Beginn von der Freude über die Aufforderung, zur Wallfahrt aufzubrechen. „Ich freute mich, als man mir sagte: Zum Haus des HERRN wollen wir gehen.“ Die Sehnsucht nach dem Haus des Herrn beflügelt seine Schritte. Seine Freude ist auch unsere Freude. Denn wir alle ziehen im Glauben hinauf nach Jerusalem.
Jerusalem als Inbegriff der Vollendung
Das himmlische Jerusalem gilt nach dem Seher Johannes als Inbegriff der Vollendung. Es ist die ideale Stadt. Johannes hat sie uns in der Apokalypse beschrieben. Nichts Böses gibt es mehr in dieser Stadt. Deshalb bleiben ihre Tore Tag und Nacht geöffnet. Weil Gott in ihrer Mitte wohnt, ist sie von seinem Licht ganz durchflutet. Himmlischer Friede ist allen verheißen, die durch die Tore dieser Stadt einziehen. Kein Wunder, dass unser Pilger und Beter sich freut, dorthin aufzubrechen.
Wie schön, im Glauben ein Ziel zu haben!
Wie schön, im Glauben ein Ziel zu haben! Wir brauchen dieses Ziel derzeit nötiger denn je. Denn wir leben in einer zerrissenen Welt, von der wir den Eindruck haben, dass sie Tag für Tag tiefer im Chaos versinkt. Gewalt und Krieg scheinen überhandzunehmen. Sie können dazu führen, auf dem Weg stehen zu bleiben, weil uns die Hoffnung abhandenkommt, dass es irgendwie besser werden könnte. Gerade in dieser Situation benötigen wir umso dringlicher die Aufforderung, als Pilger der Hoffnung weiterzugehen.
Im Gottesdienst stehen unsere Füße schon in der Heiligen Stadt
„Schon stehen unsere Füße in deinen Toren, Jerusalem“, singt der Psalmist. Unsere Füße stehen schon in den Toren der Heiligen Stadt, wenn wir Gottesdienst feiern. Denn im Gottesdienst der Kirche nehmen wir teil am himmlischen, in dem das Gotteslob niemals verstummt. Gerade weil das himmlische Gotteslob niemals verstummt, dürfen wir einstimmen in die ewige Anbetung bei Gottes Thron. So erheben wir unsere Herzen über die Traurigkeit dieser Zeit. Der Aufblick zum Himmel schenkt uns die Kraft, auf dem Weg nicht zurückzubleiben.
Sich im Ge-Richt immer neu ausrichten lassen auf Gott hin
Genau darauf zielt auch die Rede von „den Thronen, die in Jerusalem zum Gericht aufgestellt sind“. Dieses Gericht will nicht verurteilen. Das Gericht will uns innerlich neu ausrichten auf Gott hin. In den Konflikten unseres Lebens müssen wir uns neu ausrichten lassen auf den Gott des Friedens. Nur wer diese innere Mitte gefunden hat, geht weiter und bleibt nicht stehen.
Die Ursehnsucht des Menschen nach Frieden und Geborgenheit
„Erbittet Frieden für Jerusalem! Geborgen seien, die dich lieben. Friede sei in deinen Mauern, Geborgenheit in deinen Häusern!“ Die Bitte um Frieden rührt mich jedes Mal an, wenn ich diesen Psalm bete. Genauso wie die Bitte um Geborgenheit. Die Sehnsucht des Menschen nach Frieden und Geborgenheit bleibt als Ursehnsucht ein ganzes Leben lang. Dabei wissen wir aus eigener Erfahrung: Frieden ist kein stabiler Zustand. Frieden ist etwas Zerbrechliches und immer bedroht. Und Frieden schaffen, ist ein mühsamer Prozess. Es kostet viel Kraft, die unterschiedlichen Interessen der Menschen untereinander auszugleichen. Es bedarf großer Anstrengungen, eine gerechte Ordnung aufzurichten, die allen einen Lebensraum eröffnet, in dem sie sich wohlfühlen und entfalten können. Es ist schwer, die Gewalt einzudämmen, die dauernd überhand zu nehmen droht. Erbittet für Jerusalem Frieden! Nicht nur für das irdische Jerusalem, das permanent vom Unfrieden bedroht ist. Erbittet den Frieden für alle Städte, weltweit.
Auf dem Weg zum Frieden Stufe für Stufe nehmen
Als Wallfahrtslied wird unser Psalm auch Stufengesang (Canticum Graduum) genannt. Der Name kommt von den vielen Stufen, die man nehmen muss auf dem Weg zum Hause des Herrn. Ein treffendes Bild gerade im Blick auf unsere Bemühungen, Frieden zu schaffen. In jeder Auseinandersetzung wissen wir, wie viele Stufen wir nehmen müssen, um einander näherzukommen. Viele kleine Etappen braucht es zum Frieden. Und wenn wir meinen, wir hätten es jetzt fast geschafft en, ist es oft so, als stünden wir wieder ganz unten und müssten noch einmal neu beginnen mit dem Aufstieg. Gerade dann brauchen wir den Stufengesang. Als Lied erfüllt er unsere Herzen mit der Zuversicht, Stufe um Stufe nehmen zu können, auch wenn uns manchmal dabei der Atem auszugehen droht.
Der Friede gilt allen Menschen guten Willens und nicht nur den Brüdern und Freunden
„Wegen meiner Brüder und meiner Freunde will ich sagen: In dir sei Friede.“ Gut verständlich, dass man den Menschen, die man im Herzen trägt, diesen Frieden wünscht. „Aber wer sind meine Brüder und Freunde?“ so höre ich Jesus fragen. Sind es wirklich nur meine Verwandten? Ist es wirklich nur mein engerer Freundeskreis? „Brüder und Freunde“ sind für Jesus alle, die den Willen des himmlischen Vaters tun. „Brüder und Freunde“, das werden wir in Christus. Denn er ist Mensch geworden, um alle im Heiligen Geist zu Gott zu führen. Deshalb sind auch in der Heiligen Stadt alle Völker, Sprachen und Nationen miteinander friedlich vereint. So sieht es Johannes in der Apokalypse. In der Heiligen Stadt werden sie wahrhaft zu den „Vereinten Nationen“, die Gott anbeten und einander in Frieden dienen. Und so beten wir darum, in den Anderen unsere Mit-Wallfahrer zu erkennen. Sie sind nicht Gegner und Feinde, sondern in Christus Brüder und Freunde.
Das Haus des Herrn als Garant der Versöhnung
„Wegen des Hauses des HERRN, unseres Gottes, will ich dir Glück erflehen.“ Mit diesen Worten endet unser Psalm. Und damit schließt sich der Kreis. Denn mit der freudigen Aussicht, zum Haus des Herrn hinaufzuziehen, hatte der Psalm begonnen. Mit dem Haus des Herrn endet er. Denn der Friede, um den der Psalmist bittet, ist kein Menschenwerk. Der Friede kommt allein von Gott. Er hat in Christus die Welt mit sich versöhnt. Genau das feiern wir im Haus des Herrn in jeder Heiligen Messe. Nur weil er uns mit sich versöhnt hat, können auch wir uns miteinander versöhnen. Nur weil der Auferstandene Herr uns seinen Frieden zuspricht, der Sünde und Tod überwindet, können auch wir einander den Frieden wünschen. Weil Gott uns den Frieden schenkt, sollen die Jünger jedem Haus als erstes den Frieden wünschen. Ja, wegen des Hauses des Herrn will ich Dir Glück erflehen. Bleiben wir auf dem Weg zum Haus des Herrn als Pilgerinnen und Pilger der Hoffnung – gerade in diesem Heiligen Jahr. Amen.