Liebe Schwestern und Brüder,
es gibt sie im Leben, die Augenblicke, in denen uns etwas völlig Neues aufgeht: Tief in uns regt sich eine neue Wirklichkeit, die unser Denken übersteigt. Wir atmen auf und sehen die Welt mit neuen Augen.
Im Rückblick wird uns bewusst: Tief im Herzen habe ich das bereits erahnt – aber mein Verstand hat sich gesträubt. So habe ich erst einen Weg zurücklegen müssen, bis ich die neue Wirklichkeit ergreifen konnte…
Für mich bringt das die Emmausgeschichte auf den Punkt: Zu zweit waren sie aufgebrochen, fort aus Jerusalem, fort aus dem dunklen Schrecken der Kreuzesgalgen: Kleopas und ein anderer, dessen Name nicht genannt wird – vielleicht, damit ich ihm meinen leihen kann?
Plötzlich sind sie zu dritt: Ein Fremder fragt scheinbar ahnungslos nach dem Grund ihrer Traurigkeit. Da beginnen sie zu erzählen – und der unerkannt Auferstandene erschließt ihnen die Schrift. Darüber geht der Tag zur Neige, und sie bitten ihn zu bleiben. Am Tisch bricht er ihnen das Brot. Da erkennen sie ihn, der ihren Blicken entschwindet.
Völlig anders laufen sie zurück nach Jerusalem und tragen in das Dunkel der hereinbrechenden Nacht das brennende Licht des Glaubens und den Zweig ihrer neuen Hoffnung.
Im Rückblick bringen auch sie es ins Wort:
„Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloss“ (Lk 23,32).
Offensichtlich ist das Herz der Ort der Begegnung mit dem Auferstandenen. Als würde er das Emmausevangelium kommentieren, sagt Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Dilexit nos“ dazu: „Jesus wartet heute darauf, dass du ihm die Gelegenheit gibst, dein Leben zu erhellen, dich aufzurichten, dich mit seiner Kraft zu erfüllen… Er findet immer einen Weg, sich in deinem Leben zu zeigen, damit du ihm begegnen kannst“ (Dilexit nos, 38).
Ich erinnere mich an einen Bibelkreis zum Emmausevangelium. Auch wir haben es im Blick auf die Gelegenheiten der Begegnung mit Jesus heute gelesen, als es aus einem Teilnehmer herausbrach: „Also ehrlich gesagt, ich weiß nicht, ob ich mich hätte aufraffen können, um nach Emmaus zu laufen. Wenn es mir schlecht geht, bin ich wie gelähmt.“
Und sofort fügte eine junge Frau hinzu: „Wenn ich traurig bin, habe ich eher Bedenken, mich ansprechen zu lassen. Mir fällt es schwer, darüber zu reden. Ich glaube, wenn einer dann noch mit der Bibel käme, würde ich ihn sofort abbügeln…“
Damit war der Reigen der Vorbehalte endgültig eröffnet: „Also ich wäre nicht auf die Idee gekommen, so einen Unbekannten auch noch zu bitten, mit uns einzukehren…“
Und der Letzte setzte noch einen drauf:
„Ich glaube, wenn meine Stimmung in Emmaus umgeschwenkt wäre, hätte ich dort Party gemacht. Es wäre mir doch nicht eingefallen, gleich zurück an der Ort des Grauens, nach Jerusalem zu laufen und mich von den anderen dort wieder runterziehen zu lassen…“
Ja, auch bei mir ist die Liste der verpassten Gelegenheiten lang. Es gibt immer einen Grund, dem in mir still pochenden Herzen nicht Recht zu geben, sondern den Vorbehalten und Bedenken nachzuhängen…
Liebe Schwestern und Brüder,
auch das kommt in den Ostererzählungen auf den Punkt: Mit der Neuigkeit vom leeren Grab und der Begegnung mit dem Engel am Ostermorgen haben die Frauen die verschlossenen Jünger nicht erreicht. Erst als sie selbst in Bewegung kamen und dem Auferstandenen begegnet sind, haben sie ihr brennendes Herz wiederentdeckt.
Dann schließlich geht Jesus auf die zu, die verängstigt in Jerusalem sitzen geblieben sind und sich sogar im Abendmahlssaal eingeschlossen hatten. Er schreitet durch verschlossene Türen und öffnet auch ihnen das Herz – ja er hält dem zweifelnden Thomas sein Herz hin und bittet ihn, seine Hand an sein offenes Herz zu legen.
Papst Franziskus hat Recht, wenn er auf das Herz verweist, und dort den Ort der Begegnung mit dem auferstandenen Herrn sieht, wenn er sagt: „Jesus wartet heute darauf, dass du ihm die Gelegenheit gibst, dein Leben zu erhellen, dich aufzurichten, dich mit seiner Kraft zu erfüllen… Er findet immer einen Weg, sich in deinem Leben zu zeigen, damit du ihm begegnen kannst.“ (Dilexit nos, 38).
Liebe Schwestern und Brüder,
wir können die Osterbotschaft zwar mit unseren Ohren hören, aber für uns ganz persönlich wird sie erst zur Wirklichkeit, wenn wir sie mit dem Herzen ergreifen.
Machen wir es den Emmausjüngern nach!
Überhören wir nicht das Pochen unseres Herzens!
Lassen wir es zu, wenn unsere Sehnsucht uns drängt, unsere Enttäuschungen, unsere Trauer und unseren Zweifel ins Wort zu bringen.
Lassen wir dem Herzen auch auch freien Raum, wenn wir neugierig bleiben für das, was Gott uns in der Heiligen Schrift sagt.
Laden wir ihn einfach spontan zu uns ein:
„Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden ...“
Wir dürfen diesen leisen Regungen unseres Herzens trauen:
Gott ruft uns zum Leben, er motiviert uns zum Aufbruch!
Haben wir immer wieder den Mut, ihm, dem Auferstandenen unser Herz hinzuhalten. Dann wird er auch uns Augenblicke schenken, die den Glauben in uns stärken: „Ja, es ist stimmt wirklich: Jesus lebt, er ist auferstanden!“ Lassen wir nicht zu, Vorbehalte vorzuschieben, wie es erneut Papst Franziskus eindringlich anmahnt:
„Wenn man das Herz abwertet, verliert auch das Mit-dem-Herzen- sprechen, das Mit-dem-Herzen-handeln, das Reifen und Heilen im Herzen an Bedeutung. Wenn das Spezifische des Herzens nicht anerkannt wird, gehen uns die Antworten verloren, die der Verstand allein nicht geben kann, verlieren wir die Begegnung mit den Anderen, verlieren wir die Poesie. Und wir verlieren die Geschichte und unsere Geschichten, denn das wahre persönliche Abenteuer nimmt im Herzen seinen Ausgang. Am Ende des Lebens wird nur das von Bedeutung sein.“ (Dilexit nos, 11). Amen.