Liebe Schwestern und Brüder, liebe Mitbrüder,
vor wenigen Tagen, am 24.März 2015, erschütterte uns das Flugzeugunglück des Airbus A320 über den Alpen in Südfrankreich. 144 Passagiere und 6 Besatzungsmitglieder verloren ihr Leben. Die Maschine war auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf. Des Öfteren hören wir von Flugzeugabstürzen. Aber dieses Mal berührte es uns unmittelbar, weil eine große Anzahl Deutscher an Bord waren und das Leid der Angehörigen für uns greifbarer wird. Wir fühlen uns dabei so hilflos. Fragen werden gestellt: Wie konnte das geschehen? Wie gefährdet ist unser Leben täglich? Was kann uns alles noch passieren?
Über diese Fragen wird die Hinfälligkeit und Zerbrechlichkeit unseres Lebens deutlich. Wer nur auch ein wenig an den Vorgängen in unserer Welt teilnimmt, kann angesichts des Leides der im Nahen Osten verfolgten Christen, der Verbrechen von IS-Terror in Syrien und Boko Haram in Nigeria und weiterer weltweiter Probleme nicht ruhig bleiben. Die immer mehr werdenden Asylsuchenden auch bei uns in Bayern, die aus Krisen- und Kriegsgebieten zu uns kommen, stehen vor unserer Haustür.
In diese konkrete Situation hinein fordert uns die heutige beginnende Karwoche. Sie stellt uns immer wieder neu die Leidenspassion unseres Herrn vor Augen. Was hat sein Leiden mit den heutigen Problemen und Schmerzen zu tun?
Nachdem wir soeben am heutigen Palmsonntag durch den orientalischen und stimmungsvollen Einzug Jesu in Jerusalem auf ein frohes Ereignis eingestimmt wurden, folgt nun sogleich die ernüchternde und erschütternde Passion Jesu.
Der Evangelist Markus hat sie uns überliefert. In großer Detailtreue schildert er uns den Vorgang des letzten Weges Jesu, der eingebettet ist in das jüdische Paschafest zum Gedenken an Gottes heilsmächtiges Wirken beim Auszug aus Ägypten und in das sieben Tage lang gefeierte Fest der Ungesäuerten Brote, das ursprünglich in das neue Erntejahr einleitete.
Betrachten wir Jesu Tun und Leiden vor diesem Hintergrund, so erschließt sich die Einsetzung der heiligen Eucharistie beim Abendmahl als aktuelles Heilshandeln Gottes im Neuen Bund. Christus opfert sich aus Liebe und nimmt so den Kreuzweg auf sich.
Beides: die Einsetzung der Eucharistie und Jesu Leiden und Sterben gehören untrennbar zusammen. Aus Liebe zu uns nimmt Jesus das Leiden auf sich und stirbt wie ein Verbrecher am Kreuz. Und genau diese Liebe ist es, die sich an uns im Sakrament der Eucharistie verschenkt. Sein Liebestod bleibt nicht einfach eine historische Erinnerung – so wenig wie der Auszug des Volkes Israel aus Ägypten nur erinnernd gefeiert wurde – und die Wandlung von Brot und Wein in Jesu eigenes Fleisch und Blut bleibt nicht auf das Geschehen im Abendmahlssaal beschränkt, sondern geschieht in jeder heiligen Messe mitten unter uns und bleibt so ein fortdauerndes Erntedankfest der Liebe Gottes.
Aber das ist nur die eine Seite des aufrüttelnden Geschehens. Die andere Seite führt uns Paulus im Philipperbrief vor Augen, wenn er uns auffordert: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht:“ Und dann legt er los: „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.“ Jesu Leiden und Sterben geschieht nicht orts- und geschichtslos. Es hat seinen zentralen Platz im Heilshandeln Gottes an uns und bindet uns in dieses Geschehen so ein, dass auch wir diese göttlichen Maßstäbe akzeptieren sollen. Das ist wahrhaft leichter gesagt als getan. Aber auch für unser Leben in der Nachfolge Jesu Christi gilt:
„Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: ‚Jesus Christus ist der Herr’ – zur Ehre Gottes, des Vaters.“ (6,9-11)
Liebe Schwestern und Brüder,
die Brüchigkeit unseres irdischen Lebens verweist uns auf das durch Christus ermöglichte ewige Leben. Natürlich müssen wir alles Erdenkliche tun, um das Leid in der Welt zu lindern. Wenn wir aber nur alles Geschehen auf dieser Welt aus der begrenzten irdischen Sicht betrachten, greifen wir zu kurz. Vieles bleibt uns - wie der Flugzeugabsturz in Südfrankreich - unerklärlich und verschlossen. Aber wenn wir die übergreifende Dimension des Leidens und Sterbens Christi als Durchbruch zu einem beständigen, in Gott verankerten Leben erkennen, wird dem Schmerz der tödliche Stachel genommen und unser Einsatz, das Leid zu mindern, vehement gestärkt. Amen.