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Dokumentation

„Der auferstandene Herr ist immer da“

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung am Ostersonntag, 9. April 2023, im Würzburger Kiliansdom

Das Gefühl der Angst war mir dieses Jahr der Leitfaden durch das österliche Triduum. Am heutigen Ostersonntag will ich die Predigtreihe über die Angst abschließen. Da mag man fragen: Ostern und Angst? Passt das überhaupt? Oder ist die Botschaft von der Auferstehung nicht gerade eine frohe Botschaft, bei der das Thema Angst außen vor ist? Wer die Auferstehungsberichte liest, dem fällt auf, wie oft darin Menschen aufgefordert werden, sich nicht zu fürchten. Also scheint auch die Botschaft vom neuen Leben in Christus an Ängste in unserem Leben zu rühren. Dem will ich mit Ihnen heute nachgehen.

Die Angst der Grabwächter vor dem Toten

Der Evangelist Matthäus berichtet, dass die Hohepriester und Pharisäer sich nach der Beisetzung Jesu von Pilatus Grabwächter erbaten. Drei Tage lang sollten diese das Grab bewachen. Denn sie fürchteten, die Jünger würden den Leichnam Jesu stehlen und dann behaupten, er sei auferstanden. Um das zu unterbinden, bewilligt Pilatus ihnen die Grabwächter.

Grabwächter gibt es viele auf dieser Welt. Es sind Menschen, die Totes bewachen. Menschen, die an ihrer Wirklichkeit festhalten, auch wenn sie sich im Grunde erledigt hat. Grabwächter wollen mit Gewalt eine Vergangenheit festschreiben, die es nicht mehr gibt. Und sie zahlen dafür mitunter einen hohen Preis, wie wir gerade im Krieg in der Ukraine erleben. Da überzieht ein Machthaber sein Nachbarland mit einem Vernichtungskrieg, weil er von seiner Version der Geschichte nicht lassen will und glaubt, sie herbeibomben zu können – selbst wenn mittlerweile jeder ahnt, dass das nicht gelingt, ganz gleich wie der Krieg ausgeht. Wir diskutieren in der Kirche, ob sich eine überkommene Sozialgestalt wirklich festhalten lässt, oder ob wir nicht gefordert sind, Kirche insgesamt neu zu denken. Aus unserem persönlichen Umfeld kennen wir Menschen, die in ihrer Vergangenheit leben, weil sie ihnen Sicherheit gibt, und die am Alten geradezu zwanghaft festhalten, auch wenn sie merken, dass ihnen die Dinge entgleiten. In der Wirtschaft beobachtet man immer wieder, wie Unternehmen in ernste Schwierigkeiten geraten, weil der Generationenwechsel nicht klappt und die Ansichten von Vorgestern im Heute nicht mehr greifen. Die Reihe der Grabwächter ließe sich leicht verlängern. Manchmal ertappen wir uns selbst dabei, eher in der Vergangenheit zu schwelgen, als mutig vorauszuschauen.

Aus Angst vor dem Leben sich an Totes klammern, das kann nicht lange gut gehen. Am Morgen der Auferstehung fallen die Grabwächter einfach um, ohne irgendetwas ausgerichtet zu haben. Ihre Konstruktion der Wirklichkeit hält dem Leben Gottes nicht stand. Sie fällt wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Ostern erinnert uns daran, dass wir nicht Grabwächter sein sollen. Wir sollen Wächter eines neuen Morgens sein. Gott schenkt uns diesen Morgen, aber wir müssen auch wach sein, damit dieser neue Morgen nicht an uns vorbeigeht.

Die Angst vor dem neuen Leben

Während die Grabwächter sich ängstigen vor einem Toten, haben die Frauen am Ostermorgen Angst vor dem neuen Leben. Denn mit einem Mal ist alles anders. Das wird in drei eindrücklichen Bildern erläutert.

Das erste Bild ist das Erdbeben am Ostermorgen. Es wirft die Menschen am Grab förmlich um. Es rüttelt an den Grundfesten ihrer Wirklichkeit. Ebenso wirft die Auferstehung unser Bild vom Leben um. Was uns gewiss erschien, ist plötzlich alles andere als gewiss. Tot ist nicht tot. Nein, der Tod ist der Durchbruch zu einer neuen Wirklichkeit. Dazu muss einen das Erdbeben aber gehörig durchrütteln. Nur so wachen wir auf. Nur so spüren wir, dass seit Ostern nichts alternativlos ist, sondern es im Leben immer eine andere Möglichkeit gibt, auch wenn wir sie noch nicht sehen.

Damit sind wir schon beim zweiten Bild. Das gleißende Licht des Auferstehungsengels blendet die Frauen am Grab. Wie immer, wenn man in die Sonne schaut, wird einem schwarz vor Augen. Erst ganz langsam müssen sich die Augen an das überhelle Licht gewöhnen. Es dauert geraume Zeit, bis wir dann wieder klarsehen. Ein schönes Bild für Auferstehung. Beim Trauern wird uns auch schwarz vor den Augen. Die Sonnenbrillen am Grab bedecken die verweinten Augen. Ostern aber sagt: Was deinen Blick verdunkelt, das ist nicht die Finsternis des Todes. Was dich blendet ist in Wahrheit das überhelle Osterlicht. In diesem Licht Gottes dürfen wir neu auf die Welt sehen. Und plötzlich nehmen wir wahr, dass zwar am Karfreitag unseres Lebens Türen zugefallen sind, dass sich aber am Ostermorgen auch neue Türen geöffnet haben. Wir dürfen lernen, dass in jedem Ende zugleich etwas ganz Neues beginnt.

Das geht aber nur, wenn wir unsere alten Bilder aufgeben. Wenn wir uns von der Macht der Erinnerung lösen. Wenn wir unsere vorgefassten Vorstellungen von dem, wie es sein muss, aufgeben, um uns auf Neues einzulassen. Das braucht Zeit. Zeiten der Trauer, um uns vom Alten zu lösen. Vor allem aber braucht es Menschen, die uns zur Seite stehen. Die uns die Zuversicht geben, dass mit dem Tod nicht alles aus ist, sondern dass das Leben aus Gott noch vieles Ungeahnte für uns bereithält, wenn wir genau hinsehen lernen.

In einem dritten Bild wird uns das leere Grab gezeigt. Das leere Grab sagt nur, wo Jesus nicht ist. Aber wo er sich befindet, das muss man erst noch herausfinden. Er ist euch nach Galiläa vorausgegangen, sagt der Engel. Erneut müssen sich die Frauen und die Apostel auf den Weg machen, um ihn zu suchen. Sie finden ihn überall da, wo Menschen sich nicht einfach abgeben mit dem scheinbar Unmöglichen. Sie finden ihn überall da, wo Menschen von Gottes Reich und seiner Gerechtigkeit träumen. Sie finden ihn überall da, wo Menschen an den Sieg des Lebens glauben gegen den Tod, wo Menschen gegen Ungerechtigkeit aufstehen, wo sie für die Freiheit eintreten und den Finger in die Wunden dieser Welt legen, um sie zu heilen. Ein solches Zeugnis für die Auferstehung ist nur möglich, wenn man sich nicht fürchtet und wenn man nicht resigniert angesichts einer Welt, bei der noch so viel im Argen liegt.

Die Angst davor, Christus zu verlieren

Eine letzte Angst an Ostern ist die Angst, Jesus wieder zu verlieren. Eindrücklich erzählt das Osterevangelium, die Frauen seien vor ihm niedergefallen, um seine Füße zu umfassen. Sie wollen ihn festhalten. Aber Jesus lässt es nicht zu. Auch Maria von Magdala will ihn festhalten. Jesus lehnt das ab und sagt zu ihr ausdrücklich „Halte mich nicht fest“. Die Angst, einen Menschen zu verlieren, führt dazu, sich an den anderen zu klammern. Der Klammerreflex ist zwar verständlich. Aber er verhindert, Selbststand zu entwickeln. Wer nur noch klammert, kann sein Leben nicht selbst in die Hand nehmen. Aber genau dazu will Ostern uns befähigen.

So gerne wir auch möchten, das neue Leben aus Gott lässt sich nicht festhalten. Genauso wenig wie wir einen Menschen festhalten können, genauso wenig können wir den Auferstandenen festhalten. Wir haben diesen Jesus nur, indem wir ihn immer wieder loslassen. Nur so kann er uns vorausgehen ins neue Leben. Am Ostertag verheißt Jesus seinen Jüngern: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt!“ Der auferstandene Herr ist immer da. Er ist immer da, um uns zu halten, wenn wir stolpern, und um uns aufzufangen, wenn wir fallen. Die Zusage seiner bleibenden Gegenwart ist der Trost, der uns heute erfüllt. So getröstet, können wir uns in das neue Leben vortasten und behutsam die ersten Schritte in die Wirklichkeit der Auferstehung wagen. Und indem wir immer wieder neu aufstehen, können wir den Menschen bezeugen: Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaft auferstanden. Halleluja! Ihnen allen von Herzen ein frohes, ein angstfreies Osterfest 2023!