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Dokumentation

„Ein Hauch von Ewigkeit“

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung beim Aschermittwoch der Künstler am Mittwoch, 2. März 2022, 20 Uhr, in der Neumünsterkirche in Würzburg

Fastenzeit und Tanzen:

Das ambivalente Verhältnis der Kirche zum Tanzen

• Heute am Aschermittwoch der Künstler predige ich über das Tanzen anlässlich unserer Kooperation mit der Theaterhalle am Dom.

• Das mag verstörend wirken, immerhin gehört auch nach dem Willen der Kirchen der Aschermittwoch zu den Stillen Feiertagen, an denen in Bayern ein öffentliches Tanzverbot gilt, sehr zum Leidwesen der Wirtschaft übrigens.

Der Tanz im Götzenkult

• Aber nicht nur das Tanzverbot an den Stillen Feiertagen weist auf das ambivalente Verhältnis der Kirchen zum Tanzen hin. Es ist vor allem der ekstatische Tanz um die Götzenbilder, der in der Alten Kirche zum Tanzverbot im kirchlich-liturgischen Raum führte.

• Neben den Anschauungsbeispielen aus dem antiken Götterkult gab es auch in der Bibel selbst entsprechend abschreckende Beispiele. Man denke nur an den berühmten Tanz der Israeliten ums Goldene Kalb (Ex 32) oder den Tanz der Baalspriester auf dem Berg Karmel (1Kön 18), der in kultische Raserei ausartete und im Delirium endete. Solches wollte man auf gar keinem Fall im Binnenraum der Kirche dulden. Von daher rührte die Vorsicht der Kirche in der Annäherung zum Phänomen des Tanzens.

• Vergessen wir schließlich auch nicht den Tanz der Salome vor König Herodes Antipas (Mk 6), der Johannes den Täufer den Kopf kostete. Der Tanz der Salome wird zum Inbegriff des lasziven, obszönen und sexuell konnotierten Tanzens, das zum Bösen verführen will und den Menschen um den klaren Verstand bringt. Vor allem links drehende Tänze wurden im Mittelalter als Ausdruck des Dämonischen gefürchtet, als Höllentänze, und deshalb mit Nachdruck verboten. Das Motiv des Totentanzes schließt hier an. Statt sich in weltlichen Freuden zu ergehen, sollte der Mensch der Todesstunde gedenken und sich bekehren, wusste man doch nie, wann Freund Hein zum letzten Tanz ohne Wiederkehr aufspielte und den Menschen ins sichere Verderben mitriss.

• Die regelmäßig wiederkehrenden Tanzverbote der Kirchenoberen im Mittelalter lassen allerdings nur den einen Schluss zu, dass man sich nur wenig um die Verbote scherte und sich die Freude am Tanzen einfach nicht verbieten lassen wollte.

Positive Beispiele des Tanzens

• Immerhin, neben den abschreckenden, gar verstörenden Beispielen des Tanzes kennt die biblische Überlieferung zum Glück auch positive Formen des Tanzes.

• Eines der bekanntesten Beispiele ist sicher der ausgelassene Tanz der Mirijam, der Schwester des Mose (Ex 15), nach dem Zug der Israeliten durch das Rote Meer und der Errettung vor dem sicheren Tod durch die Truppen des Pharao.

• Ebenso anschaulich wird erzählt, wie König David selbstvergessen und von Freude erfüllt vor der Bundeslade tanzte, als diese endlich in einer freudigen Prozession in die Heilige Stadt Jerusalem heimgeholt wurde und Gott nun durch die Lade mitten unter seinem Volk wohnte (2Sam 6).

• Der 30. Psalm erzählt von der wiederkehrenden Lebensfreude nach der Vergebung der Sünden. Wie eine Last fällt die Schuld von dem Beter ab. Er gewinnt seine Leichtigkeit zurück und singt:

„Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt, mein Trauergewand hast du gelöst und mich umgürtet mit Freude, damit man dir Herrlichkeit singt und nicht verstummt. HERR, mein Gott, ich will dir danken in Ewigkeit“. (Ps 30,12-13)

• Aus den mittelalterlichen Kathedralen sind uns schließlich liturgische Tänze überliefert, in denen Klerus und gläubiges Volk Reigentänze aufführten oder durch die Labyrinthe am Boden der Kathedralkirchen tanzten, vor allem in der Osterzeit, wie es in Frankreich aus Besançon, Auxerre, Reims, Rouen, Sens und Narbonne als Tradition belegt ist.

Doch was verbindet das Tanzen mit der österlichen Bußzeit?

• Es sind folgende FÜNF Vergleichspunkte, die ich heute mit Ihnen bedenken möchte und die den Tanz als Mittel gegen die Sünde stark machen.

1. Tanzen heißt, sich aufzuraffen und aufzustehen

• Wer tanzen will, muss sich aufraffen und aufstehen und darf nicht bequem sitzen bleiben.

• Die Fastenzeit ist eine Einladung, einen Neuanfang zu setzen und sich bewusst in die Gegenwart Gottes zu stellen.

• Deshalb geht es in diesem Sich-Aufraffen auch immer um Sammlung und Konzentration, es geht um eine innere Haltung, die dem Beten ähnlich ist.

• Es ist der Heilige Geist, der uns erleuchtet und uns hilft, uns zu einem Neubeginn zu überwinden.

2. Tanzen heißt, die Leichtigkeit wiederzugewinnen

• Tanzen vermittelt das Gefühl von Leichtigkeit gegen alles Unbewegliche und Träge, in dem wir zu erstarren drohen.

• Die Fastenzeit will gegen die Erdenschwere und Trägheit den Menschen neu mobilisieren.

• Das Eingefahrene, das Zähe, die Routine sollen aufgebrochen werden und der Mensch seine Beweglichkeit trainieren, wobei sich die geistige Beweglichkeit auch in der leiblichen Beweglichkeit ausdrückt.

• Insofern gilt es, neue Akzente zu setzen, Neues auszuprobieren, Eingefahrenes und Eingeschliffenes einfach mal zu unterbrechen, um frei zu werden von allem Zwanghaften und Verbissenem, an dem wir uns festklammern und das unser Leben mehr einengt als dass es uns wirkliche Sicherheit gibt.

• Bekanntermaßen hilft Bewegung auch gegen Depression und hellt den Geist auf.

• Natürlich hilft auch, unnütze Pfunde abzubauen, die uns unbeweglich machen und jede Bewegung zur Qual werden lassen.

• Es ist der Heilige Geist, der wärmt, was kalt und hart geworden ist, und der löst, was in sich erstarrt ist, wie es in der Pfingstsequenz heißt.

3. Tanzen heißt, den Rhythmus im Leben wiederzuentdecken

• Zum Tanz gehört in der Regel Musik, ein Rhythmus, dem der Mensch lauscht und in den der Mensch sich einschwingt.

• Die Fastenzeit will uns helfen, unseren Rhythmus wiederzufinden, wenn wir aus dem Takt gekommen sind aus Müdigkeit oder Traurigkeit, Überforderung oder Langeweile, Überdruss oder Depression, wenn uns nichts mehr anspricht und alles nur noch anödet.

• Statt vor mich hin zu stolpern oder vom fremden Takt in ein Korsett gezwungen zu werden, geht es darum, wieder selbst mein Leben in die Hand zu nehmen.

• Ich bin eingeladen, still zu werden und noch einmal nachzuhorchen, welche Melodien mich ansprechen, wo etwas in mir zum Klingen gebracht wird, und meiner Sehnsucht auf der Spur zu bleiben.

• Es ist der Heilige Geist, der bis auf der Seele Grund dringt, der Herz und Angesicht mit Leben füllt und so den Menschen von innen her heilt, so dass er wieder auflebt und den Rhythmus findet, der ihn mit Gott vereint.

4. Tanzen heißt, mit sich eins zu werden in der Flow-Motion

• Im Tanzen wird der Mensch er selbst, kommt die Lebensenergie zum Fließen und wird der Mensch er selbst.

• Man spricht vom Tanz als der „Flow-Motion“.

• Körper und Geist werden miteinander eins und der Mensch wird im Inneren heil.

• Den eigenen „Flow“, die innere Spannung und die innere Begeisterung wieder zu entdecken, dafür dienen die Tage der Fastenzeit, zu entdecken, wo ich wirklich ich selbst bin und mich ganz an eine Aufgabe und an ein Werk geben kann, ohne neben mir her zu leben.

• Man merkt das, wenn die Kurzatmigkeit nachlässt und der Mensch den langen Atem und die innere Kraft wiedererlangt.

• Es gibt nichts Schöneres als Menschen zuzusehen, die so ganz in ihrem Element sind und darin regelrecht aufblühen, wenn der „Flow“ zur „Motion“ wird, der Elan einen Menschen begeistert und erfüllt.

• In der Kraft des Heiligen Geistes wird die schöpferische Kraft des Menschen neu geweckt, erfährt er das lebendige Wehen Gottes im eigenen Leben.

5. Tanzen heißt, über sich hinauszuwachsen in der Transzendenzerfahrung

• Schon immer war der Tanz eine Form, um über sich hinauszuwachsen und die Welt mit ihren Sorgen hinter sich zu lassen.

• Selbstvergessen zu tanzen wird erlebt als Vorwegnahme himmlischer Leichtigkeit, als Erfahrung von Jenseitigkeit, von Transzendenz.

• Einen Hauch von Ewigkeit und so ganz gelöster oder erlöster Freude verbindet man mit dem Tanzen.

• Es sind Momente der Ermutigung und der Freude, von denen wir zehren und die uns Kraft geben für unseren weiteren Weg.

• Immer jedoch in dem Wissen, dass diese vollendete Leichtigkeit Gnade bleibt, ein unverfügbares Geschenk des Heiligen Geistes, wenn der Mensch für einen Moment gewissermaßen „abhebt“ und etwas von der verheißenen Herrlichkeit verkostet und etwas von der Vollendung des Heils sehen darf.

Madeleine Delbrel schreibt: (Tanz des Gehorsams – am 14. Juli)

(Denn) ich glaube (Gott), du hast von den Leuten genug,

Die ständig davon reden, dir zu dienen – mit der Miene von Feldwebeln,

Dich zu kennen – mit dem Gehabe von Professoren,

Zu dir zu gelangen nach den Regeln des Sports,

Und dich zu lieben wie man sich nach langen Ehejahren liebt.

• Madeleine Delbrel sieht Glauben nicht als freudlosen Dienst, nicht als professorale Besserwisserei, nicht als Leistungssport, nicht als lustlose Pflichtübung.

• Vollendeten Glauben sieht sie als Tanz, als gelöste Freiheit und überschäumende Lebensfreude.

• Wenn uns das Tanzen tatsächlich dazu helfen würde, dann hätte die Fastenzeit ihr Ziel mehr als erfüllt.

• Denn dann lädt uns im Letzten Christus selbst zum Tanz ein, den die Kirchenväter gepriesen haben (Hugo Rahner)

als den Vortänzer im mystischen Reigen,

als Anführer zur geistlichen Hochzeit zwischen Himmel und Erde,

als Vollender des ewigen Osterfestes, durch das die Erde erfüllt wird mit der Festfreude des Himmels!

Amen.