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Dokumentation

„Es ist der Herr selbst, der uns gesandt hat“

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung beim Pontifikalgottesdienst zum Gedenken an 50 Jahre Seligsprechung des Märtyrerpriesters Liborius Wagner am Montag, 25. November 2024, im Würzburger Kiliansdom

Liebe Mitbrüder im geistlichen Amt,

liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

dass Sie in so großer Zahl zu unserem Priestertag gekommen sind, freut mich sehr. Wir schauen heute voll Dankbarkeit zurück auf die Seligsprechung Liborius Wagners vor 50 Jahren. Welche Botschaft geht von dieser Seligsprechung für uns aus? Was kann uns das Schicksal und die priesterliche Existenz unseres seligen Priesters heute noch sagen? Drei Punkte sind es, die ich im Blick auf das Leben und Sterben Liborius Wagners mit Ihnen teilen möchte.

Wen soll ich senden? Wer wird für uns gehen? Ich sagte: Hier bin ich. Sende mich! (Jes 6,8)

Ein erster Punkt. Liborius Wagner ließ sich senden nach Altenmünster. Die Bevölkerung war überwiegend protestantisch und Altenmünster, das kirchlich dem Fürstbischof unterstellt war, stand noch auf der Liste der Ortschaften, in denen die „Reformation“ - in dieser Zeit bemerkenswerter Weise die Bezeichnung für die Rekatholisierung (!) - noch nicht durchgeführt war.

Liborius Wagner kam als Konvertit und Priester. War das verantwortlich von der Bistumsleitung, einen Konvertiten nach Altenmünster zu schicken?

Bemühte man sich um einen charismen-orientierten-Einsatz, weil Wagner vermutlich die protestantischen Schwestern und Brüder besonders gut verstand?

Oder sollte es im Gegensatz dazu eine offene Provokation sein? Immerhin zeigt die Bezeichnung Wagners durch seine Widersacher als „ille apostata Mülhusanus“, als „Abtrünniger aus Mülhausen“ (Dokument 117 / Brander II), nur zu gut, dass man vor Ort um seine persönliche Geschichte wusste und ihn deshalb nicht sonderlich schätzte.

Oder dachte man in Würzburg, der Konvertit Wagner wird die Gemeinde in Altenmünster recht bald auf den katholischen Kurs trimmen, gerade weil er sie verstand und selbst die gewünschte Umkehr vollzogen hatte?

Welches im Letzten die Beweggründe waren, Liborius Wagner nach Altenmünster zu schicken, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass er einen schwierigen Start hatte. Denn sein Vorgänger im Amt musste die Pfarrstelle räumen, weil er seine Dienstmagd geschwängert hatte. Dieser Missbrauchsfall „avant la lettre“ hat sicher dem Ansehen der Geistlichen gerade auf diesem Pflaster enorm geschadet und machte es Wagner nicht einfach, vor Ort Fuß zu fassen.

Dennoch: Liborius Wagner ließ sich nach Altenmünster senden und nahm den Auftrag an, den er sich sicher nicht selbst ausgesucht hatte. Große Auswahl wird allerdings auch die fürstbischöfliche Personalverwaltung inmitten der Wirren des Dreißigjährigen Krieges nicht gehabt haben. Nicht wenige Gemeinden waren verwaist und etliche Seelsorger geflohen oder gar getötet worden.

Seine Bereitschaft zu gehen, auch angesichts der vor ihm liegenden Herausforderungen, zwingt mir bis heute Respekt ab. Er hat sich der Situation gestellt und sich nicht eine Pfarrstelle gesucht, an der er möglichst unbeschwert wirken konnte.

Im Umbruch unserer Tage gibt es wohl kaum eine Pfarrstelle ohne die bekannten Schwierigkeiten, die uns allenthalben drücken von Personalmangel über Finanzknappheit und Verteilungskämpfe von Ressourcen. Sie sind anders als die Probleme zur Zeit Wagners. Nichtsdestoweniger danke ich allen, die sich wie er senden lassen und den Aufgaben nicht ausweichen, die uns als Kirche im Allgemeinen und als Kirche von Würzburg im Besonderen gestellt sind.

Bei meiner ersten Verteidigung ist niemand für mich eingetreten. (2Tim 4,16)

Ein Zweites. Sein Briefwechsel mit dem Geistlichen Rat in Würzburg erlaubt uns bis heute, dem Pfarrer von Altenmünster über die Schulter zu schauen und seine alltäglichen Nöte und Zwänge mitzuvollziehen. Ein für mich besonders eindrücklicher Fall ist die Frage nach der Beerdigung einer protestantischen, einer „acatholischen“ Frau. Da Altenmünster kirchlich gesehen dem Fürstbischof unterstellt war, oblag Wagner als einzigem Seelsorger vor Ort auch die Hirtensorge für die protestantischen Schwestern und Brüder, für deren Taufe und Eheschließung sowie Beerdigung er zuständig war.

Nun stand er vor dem Problem, dass ein evangelischer Christ nicht auf einem katholischen Friedhof beigesetzt werden konnte. Wer nicht katholisch getauft war, durfte nicht in geweihter Erde liegen. Wagner wusste nicht, was er tun sollte. Drei Tage waren seit dem Tod mittlerweile verstrichen und der Leichnam der Frau zeigte schon erste Verwesungserscheinungen. Da sandte der weltliche Ortsvorsteher, Ritter Philipp Albrecht Truchseß von Wetzhausen zu Sternberg, seine berittenen Boten zu Wagner und setzte ihn unter Druck, die tote Frau umgehend beizusetzen. Ansonsten würde er sich gezwungen sehen, sein Anliegen mit Gewalt durchzusetzen.

Beim Erwägen aller ihm zu Gebote stehenden Möglichkeiten erinnerte sich Liborius Wagner in höchster Not schließlich daran, dass der katholische Friedhof vor einiger Zeit über die Straße hinweg erweitert wurde. Da aber der Flurstreifen der Straße keine geweihte Erde war, wäre es doch eine Möglichkeit, die Frau genau auf diesem Areal zu beerdigen. Gesagt, getan.

Natürlich wurde die Beisetzung ohne Gesang und Glockengeläut durchgeführt, weil es sich um eine protestantische Christin gehandelt hatte, wie Wagner in seinem Bericht an die bischöfliche Behörde zu seiner Ehrenrettung vermerkt.

Dennoch drückte ihn das Gewissen. Brieflich wandte er sich am 14. September 1629 an den Geistlichen Rat zu Würzburg (Dokument 13 / Brander I). Eingehend schilderte er in seinem Schreiben den Vorfall und erläuterte sein Vorgehen. Er erbat eine Bestätigung von seiner vorgesetzten Behörde, in ähnlich gelagerten Fällen wieder so handeln zu dürfen.

Die Antwort aus Würzburg kam nach heutigen Maßstäben überraschend schnell. Schon am 5. Oktober desselben Jahres erreichte ihn das Reskript aus Würzburg, indem ihm der Befehl des „gnädigen Fürsten und Herrn zu Würzburg“ übermittelt wurde, er möge doch die acatholischen „gleichwohl auf den Kirchhof aber an ein ungeweihtes ort und ohne einige Ceremonien, Gesang und Glockenklang begraben lassen“ (Dokument 40.4 / Brander I). Man gab also huldvoll sein Placet zu dieser gleichsam salomonischen Lösung Wagners.

Das Beispiel erhellt die Gewissensnöte eines Seelsorgers in jener Zeit. Worüber wir heute schmunzeln oder zumindest den Kopf schütteln mögen, war für ihn bitterer Ernst. Die doppelte Loyalität zu seinem Bischof und zum Ortsvorsteher, die Not der Familie, die ihre Angehörige würdig beerdigt wissen wollte, und sein Anspruch, die pastoralen Vorgaben geflissentlich einzuhalten, führten regelmäßig zu inneren Zerreißproben. Dennoch suchte Wagner in Abstimmung mit der bischöflichen Behörde nach gangbaren Wegen, um den berechtigten Ansprüchen der Menschen und seinen priesterlichen Pflichten zu genügen.

Jeder von uns kennt den Spagat zwischen pastoralen Vorgaben und den Wünschen der Menschen. Bei der Diskussion um die Standards unserer Beerdigungspraxis haben wir intensiv damit gerungen, Spielräume zu eröffnen, die uns erlauben, ab- und zuzugeben, um gute und vertretbare Lösungen zu finden. Das Beispiel Wagners jedenfalls hält dazu an, diese mehrfache Loyalität ernst zu nehmen und nicht nach einer Seite hin aufzulösen. Er ermutigt uns, nach pastoral verantwortbaren Lösungen zu suchen, auch wenn sie uns manche schlaflose Nacht bereiten.

Wer aber bis zum Ende standhaft bleibt, wird gerettet (Mt 10,22)

Ein letzter Punkt. Liborius Wagner ist als guter Hirte in seinem Pfarrsprengel geblieben. Er ist nicht geflohen wie viele seiner Amtskollegen. Warum er im letzten geblieben ist, wissen wir nicht. Ihm muss bewusst gewesen sein, dass er persönlich in Gefahr war, nachdem die Umstände ihn schon zur Flucht aus dem Pfarrhaus in Altenmünster gezwungen hatten.

Vertraute er darauf, als Geistlicher und Seelsorger gebraucht zu werden in den unvorstellbaren Nöten dieser Kriegszeit und dem allgemeinen Aufruhr, in dem sich das Land befand?

Oder wähnte er sich sicher aufgrund des Schutzbriefes König Gustav Adolfs vom 10. Oktober 1631? Immerhin hatte der Schwedenkönig allen „hohen und niederen officirer und befehlshaber“ seiner „Armada“ befohlen, sie sollten „aller feindtseeligkeit gentzlichen sich messigen und endhalten“ und auch alle Ortschaften samt Bevölkerung „gantz unbetrübt, unmolestirt und unangefochten“ sein lassen. Bei Zuwiderhandlung drohte ihnen die Todesstrafe (Dokument 95.2 / Brander I).

Oder war es sein persönliches Pflichtbewusstsein, seine Liebe und Treue zu seiner priesterlichen Berufung und zu seinem priesterlichen Dienst, die ihn hielten?

Wir wissen es nicht. Es wird wohl eine Mischung aller drei Beweggründe gewesen sein. Sein außergewöhnlicher Mut ist bis heute aller Bewunderung wert. Viele seiner Mitbrüder hatten jedenfalls ihren Posten schon längst geräumt wie seine Zeitgenossen ernüchtert feststellten.

Gründe wegzulaufen und hinzuwerfen gibt es auch heute genug. Im Gegensatz zu den priesterlichen Mitbrüdern, die in vielen Teilen dieser Welt ihren Dienst unter Gefahr für Leib und Leben ausüben, müssen wir zum Glück nicht täglich den Tod vor Augen haben. Aber das langsame oder auch schnellere Sterben kirchlichen Lebens, die allgemeine Unsicherheit über den künftigen Kurs der Kirche und die bekannten Mangelerscheinungen zehren auch an unserer Kraft und befördern zumindest nicht immer die eigene Motivation, um es einmal vorsichtig auszudrücken.

Daher danke ich von Herzen allen, die nach dem Vorbild Liborius Wagners nicht hinwerfen und gehen, sondern bleiben. Bleiben, auch wenn wir weiter unter unsicheren und wechselhaften Bedingungen unseren Dienst tun müssen.

Es ist der Herr selbst, der uns gesandt hat und der bei uns bleibt in aller Not und Gefahr. Er gibt uns die Kraft, standzuhalten und nicht wegzulaufen, so wie er auch dem Märtyrerpriester und Glaubenszeugen Liborius Wagner seine rettende Nähe bis zum Tod nicht versagt hat.

Die Heiligung im priesterlichen Dienst

Die Bereitschaft, sich senden zu lassen, die Mühe, nach pastoral vertretbaren Lösungen zu suchen, und der Mut, auszuharren im Dienst – diese drei Haltungen kommen mir in den Sinn, wenn ich über den Seligen Liborius Wagner nachdenke.

Bitten wir heute um seine Fürsprache und sein begleitendes Gebet für unseren priesterlichen Dienst. Möge sein Beispiel uns anspornen, uns durch unser Tun zu heiligen, zur Ehre Gottes und zum Heil der uns anvertrauten Menschen.

Von Herzen danke ich Ihnen als Bischof für Ihren hochherzigen Einsatz in unserem Bistum und für alle Anstrengungen und Mühen, auch in unseren Tagen den Menschen durch Wort und durch Beispiel die frohe Botschaft zu verkündigen. Amen.