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Dokumentation

Jesus schämt sich nicht

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung am Gründonnerstag, 14. April 2022, im Würzburger Kiliansdom

Liebe Schwestern und Brüder,

ein Gefühl soll mir dieses Jahr der rote Faden sein durch die Feier der Heiligen Drei Tage von Sterben, Tod und Auferstehung Jesu. Es ist das Gefühl der Scham. Die Scham hat man das Aschenputtel unter den Gefühlen genannt. Denn sie führt wie Aschenputtel ein Schattendasein. Das kommt daher, dass der, der sich schämt, sich zugleich dessen schämt, dass er sich schämt. Beim Empfinden von Scham ist das Verbergen von Scham immer gleich mitzudenken. Und genau das macht es so schwer, offen über die Scham zu reden.

Verbergen möchte man das Empfinden von Scham, weil das Schämen ein Anzeichen dafür ist, dass Grenzen unserer Persönlichkeit überschritten oder sogar bewusst verletzt werden. Deshalb rührt Scham immer an das Innerste unseres Menschseins. Sie hat unmittelbar mit der Würde des Menschen zu tun. Nicht umsonst hat man die Scham als „Hüterin der menschlichen Würde“ bezeichnet (Leon Wurmser). Jemand zu beschämen, verfolgt meist die Absicht, diese Person im Innersten tief zu verletzen, im Extremfall sogar sie bewusst zu vernichten.

Die Mitfeier der Heiligen Drei Tage liefert uns viele Bilder und Szenen von Scham und Beschämung. Diesen möchte ich mit Ihnen in diesem Jahr nachgehen und sie im Blick auf das Geheimnis von Tod und Auferstehung bedenken. Heute Abend am Gründonnerstag werden wir gleich mehrfach Zeugen von Situationen, die schambesetzt sind und in denen Menschen an Grenzen kommen.

Niemals sollst du mir die Füße waschen – Gewaschen werden als Beschämung

Eine erste Szene zum Gefühl der Scham. Jesus umgürtet sich nach dem Mahl mit seinen Jüngern, und beginnt ihnen zu ihrer aller Überraschung die Füße zu waschen. Bis auf einen lassen alle diese Geste zu. Nur Petrus widersetzt sich mit aller Entschiedenheit diesem Ansinnen Jesu. „Niemals sollst du mir die Füße waschen!“, ruft er empört aus. Petrus fühlt sich nicht unrein. Er muss nicht gewaschen werden. Nein, dieser Petrus ist sauber. Mehr noch, er weiß sich mit allen Wassern gewaschen und als der perfekte Gefolgsmann des Herrn.

Gewaschen zu werden, auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, wer will das schon? Wir lieben unsere Unabhängigkeit und unsere Selbständigkeit. Nur wenn es wirklich nicht anders geht, lassen wir uns waschen, lassen wir andere so nah an uns heran. Aus der Pflege ist bekannt, ein wie heikler Moment das Waschen von pflegebedürftigen Menschen ist. Immer ist das Waschen schambehaftet. Denn es müssen persönliche Grenzen überschritten werden, auch wenn man das nur schwer zu akzeptieren vermag. Da braucht es viel Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl von beiden Seiten, um gut mit dieser Situation umzugehen.

Petrus jedenfalls fühlt sich in diesem Augenblick überfordert von der Geste Jesu. Er will diesen Jesus auf Abstand halten. Diese Waschung empfindet er nicht als Wohltat, sondern als Anmaßung. Sie verletzt ihn in seinem Selbstwertgefühl. Er ist auf niemanden angewiesen und braucht niemanden.

Doch Jesus weicht nicht ab von seinem Vorhaben. Bei der Hochzeit zu Kana hatte Jesus das Wasser aus den Reinigungskrügen für die Fußwaschung in Wein verwandelt. Jetzt ist es umgekehrt. Der endzeitliche Hochzeitsbund zwischen Himmel und Erde wird beim letzten Abendmahl unter dem Zeichen des Weins vollzogen, der die Lebenshingabe im Blut Christi versinnbildet. Diese Lebenshingabe veranschaulicht Jesus nun mit dem Wasser der Fußwaschung. Jesus macht so deutlich: Auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen und wenn wir uns dagegen wehren wie Petrus – wir brauchen die Zuwendung Gottes. Die Waschung der Füße ist der Grund, auf dem wir stehen. Nur weil sich Jesus uns liebevoll zuwendet, haben wir einen Selbststand, der im Leben wirklich trägt.

Dann nicht nur meine Füße, sondern auch die Hände und das Haupt – Ironie, um die Scham zu überspielen

Eine zweite Szene zum Thema Scham und Schamabwehr schließt sich unmittelbar an. Jesus versucht, Petrus zu beruhigen. Nein, er ist nicht schmutzig. Nur die Füße. Aber diese müssen gewaschen werden. Angesichts dessen kippt das Verhalten des Petrus genau ins Gegenteil um. Also wenn es wirklich nicht anders geht, ja dann bitte neben den Füßen auch die Hände und das Haupt.

Eine typische Reaktion angesichts von Scham und Schamempfinden. Wir versuchen eine peinliche Situation zu überspielen und dadurch die Scham abzuwehren. Bloß jetzt die Kontrolle bewahren. Bloß keine Schwäche zeigen. Bloß sich nichts anmerken lassen. Petrus flüchtet in die Übertreibung, die die Geste Jesu ins Lächerliche zieht. Ja, wenn ich schon nichts ändern kann und wenn du dich jetzt doch durchsetzt, dann bitte gleich das volle Programm und keine halben Sachen.

Durch den Versuch, das ganze ins Lächerliche zu ziehen, meint Petrus, die Situation wieder im Griff zu haben. Zudem versucht er mit dieser Übertreibung, seinen Führungsanspruch vor den anderen noch einmal zu unterstreichen. Schaut her, bei mir wurden nicht nur die Füße, sondern auch die Hände und das Haupt gewaschen. Auch wenn ich eben noch ziemlich blamiert dastand, müsst ihr ab jetzt wieder mit mir rechnen. Ich behaupte mich doch noch und bin wieder im Spiel!

Aber auch dieses Manöver misslingt. Petrus muss im Gegenteil nochmals eine Belehrung über sich ergehen lassen. Ihm wird jetzt gesagt, dass er Jesus noch gar nicht verstanden hat und dass es wohl noch eine Weile dauern wird, bis er begreift, was Jesus da tut und warum er es tut. Erst wo das Fundament unseres Lebens brüchig wird, erahnen wir, dass uns unsere Kraft von Gott her zukommt. Erst dann können wir in der Regel akzeptieren, von ihm gewaschen zu werden.

Eine dritte Szene: Jesus, der peinliche Meister

Ein Drittes. Man spürt, wie trotz der Nähe des Jesus zu Petrus die innere Distanz zwischen beiden zusehends wächst. Dieser Jesus ist für Petrus nur noch peinlich. Er kann es nur schwer ertragen, was im Abendmahlssaal vor sich geht. Diese Selbstinszenierung Jesu als Diener aller ist für ihn aufgesetzt und fehl am Platz. Eigentlich zum Fremdschämen. Jetzt naht doch die Stunde der Entscheidung. Da braucht es jemand, der mit Entschiedenheit vorangeht. Nicht auf die Knie soll er gehen, sondern machtvoll soll er anführen und die letzte Schlacht schlagen.

Petrus hat die Mahnung Jesu schon lange vergessen, der sagte, dass jeder, der sein Leben retten will, es verlieren werde; und umgekehrt, jeder, der sein Leben verliert, es rettet. Und Jesus hatte noch eindringlich im Anschluss an diese Mahnung fast drohend hinzugefügt:

„Wer sich meiner und meiner Worte schämt, dessen wird sich der Menschensohn schämen, wenn er in seiner Herrlichkeit kommt und in der des Vaters und der heiligen Engel.“ (Lk 9,26).

Petrus aber schämt sich des Herrn. Er verachtet ihn als Schwächling. Noch ahnt er nicht, dass es besonderer Stärke bedarf, anderen dienen zu können. Es ist kein Dienst aus Unterwürfigkeit, sondern ein Dienst aus echter Hingabe. So dienen kann nur, wer innerlich gefestigt ist und wer keine Angst davor hat, sich vor anderen zu blamieren. Er dient aus Überzeugung, weil er weiß, dass Gott ein Gott des Dienens ist, aus dessen liebender Zuwendung alles am Leben erhalten wird.

Ein Viertes: der Sohn Gottes schämt sich nicht zu dienen

Ein Viertes. Jesus schämt sich nicht. Der Herr schämt sich nicht, sich als Knecht zu erweisen. Denn die Größe Gottes besteht genau darin, andere groß zu machen. Gott muss seine Größe nicht dadurch unter Beweis stellen, dass er andere unterdrückt und klein hält. Das Gegenteil ist wahr. Gott macht sich klein. Er geht auf die Knie vor den Jüngern. Er schaut nicht von oben auf sie herab. Er will sie eben nicht beschämen. Im Gegenteil, er schaut von unten zu ihnen herauf bei der Fußwaschung. Er will ein Beispiel geben, das für sich spricht. Nein, er will gerade nicht erniedrigen wie Petrus mutmaßt. Aber er will den Jüngern zeigen, was es heißt, im Namen Gottes zu kommen. Es verpflichtet dazu, einander zum Diener zu werden.

Ein Letztes: Jesus schämt sich auch seiner Jünger nicht

Ein Letztes. Jesus schämt sich nicht, sich klein zu machen. Aber Jesus schämt sich auch seiner Jünger nicht. Jeder andere hätte wohl resigniert und das Handtuch geworfen. So lange war er mit den Jüngern unterwegs. So oft hatte er sie belehrt darüber, was zählt. Dreimal hatte er den Tod am Kreuz angekündigt. Immer hatten sie weggehört und sich weiter darum gestritten, wer der Größte unter ihnen sei, sogar noch im Abendmahlssaal.

Bis zum Schluss ergingen sie sich in Überlegungen, wem es wohl gelingen würde, sich die ersten Plätze im kommenden Reich zu sichern. Jesus aber hatte klargemacht, dass er keine Plätze verteilt. Er hat den letzten Platz eingenommen.

Nein, Jesus schämt sich seiner Jünger nicht. Er weiß, wie schwach wir sind. Und trotzdem oder gerade deshalb hält er uns seine Treue. Er hofft, dass wir irgendwann einmal begreifen, dass das alles nicht peinlich ist. Dass er nicht peinlich ist. Dass das Dienen nicht peinlich ist. Peinlich ist vielmehr, noch immer nicht zu begreifen.

Bitten wir heute Abend darum, dass wir uns dieses Jesus nicht schämen. Bitten wir darum, dass wir uns nicht schämen, einander zu dienen. „Denn siehe, ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe.“ Amen.