Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

„Wege gehen im Licht des Herrn“

Predigt von Hochschulpfarrer Burkhard Hose beim Friedensgottesdienst im Würzburger Kiliansdom am Samstagabend, 7. September 2013

Die Bilder von Erdem Gündüz gingen um die Welt: Über Wochen stellte sich der 34-Jährige während der Proteste um den Gezi-Park in Istanbul immer wieder auf den Taksim-Platz und schaute schweigend das Porträt von Staatsgründer Atatürk an. Viele Menschen rund um die Welt schlossen sich seinem Vorbild an, standen schweigend auf Straßen und Plätzen. Der als „stehender Mann“ bekannt gewordene Türke wurde am Donnerstagabend mit dem Preis des internationalen Potsdamer Medienforums ausgezeichnet. „Mit seinem stillen Protest wurde er zur Ikone des friedlichen Widerstandes und fand weltweit Nachahmer“, erklärte der Beirat des Forums. Ein Träumer? Ein Weltfremder?

„I have a dream.“ Genau vor 50 hielt Martin Luther King seine große Rede, vielleicht eine der größten Reden des 20. Jahrhunderts. Voller biblischer Bilder entwarf er das Bild von einem Amerika, in dem Afroamerikaner und Weiße friedlich zusammenleben. Ein Traum, der noch längst nicht Realität geworden ist, aber eine unglaubliche Faszination und Energie freisetzte. Träumerei?

Unvergessen die Menschen, die sich 1989 mit nichts als Kerzen in den Händen, Gebeten und Liedern auf den Lippen in den Kirchen der damaligen DDR einfanden. Fromme Illusionäre? Nein, Erdem Gündüz, der „stehende Mann kein Weltfremder! Nein, „I have a dream“ keine Träumerei! Nein, Menschen mit Kerzen in den Händen, keine Illusionäre! Längst wissen wir es – leider oft erst in der Rückschau. Und wir heute Abend ahnen es: Die Botschaft der Gewaltlosigkeit hat die Macht, die Welt in Richtung einer besseren Welt zu verändern.

„Schwerter zu Pflugscharen!“ Immer noch fasziniert dieser Slogan und erinnert an mehr als an die Friedensbewegung der 80er Jahre. Doch führt uns dieses Wort heute nicht in erster Linie unsere Rat- und Hilflosigkeit angesichts der unzähligen Kriege, militärischen Konflikte und bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen, all der ethnischen und sozialen und religiösen und kulturellen und familiären Gewalt weltweit vor Augen? Denn es ist ja nicht so, dass sich dies alles weit weg abspielt. Die Gewalt, ihre Folgen, Täter und Opfer sind uns näher gerückt, mit deutschen Soldaten in Afghanistan und anderen Ländern, mit jedem Terroranschlag dort und in Europa, aber auch in den Bootsflüchtlingen im Mittelmeer und den Asylsuchenden in unserem Land und hier in Würzburg. Wir leben in einer globalisierten Welt, die Welt ist ein Dorf geworden. Was tun? Natürlich müssen wir uns verteidigen, unsere Menschen, unsere Werte, unsere Humanität, unsere Grenzen. Wir setzen auf Sicherheit und Abwehr, auf Misstrauen und Überwachung, auf Grenzkontrollen und militärische Stärke. Doch mit jedem neuen militärischen Eingreifen, mit jedem Bombardement wird deutlicher: Sie nähren in den betroffenen Ländern neues Misstrauen und Angst und ein Gefühl der Bedrohung und verschärfen die Spaltung der Gesellschaft im eigenen Land und weltweit, nicht zuletzt die Spaltung zwischen den Religionen. Militärische Mittel scheinen – zumindest auf Dauer - nicht zu greifen in den Konflikten dieser Welt Sie sind seltsam stumpf und wirkungslos, oft sogar kontraproduktiv. Sie schaffen keinen Frieden – das ist unumstritten; doch inzwischen wird mehr und mehr fraglich, ob sie überhaupt geeignet sind, wenigstens die Voraussetzungen für eine friedliche Entwicklung zu schaffen. Der Krieg ist wie ein großer Abgrund, der sich nicht mehr schließen will. Aber was sollen wir tun? Ein Dilemma tut sich auf: Interveniert die Weltgemeinschaft nicht in Syrien und in anderen Ländern, in denen Diktatoren ihre Völker unterdrücken, so wirft man ihr Gleichgültigkeit vor. Interveniert sie, so trifft sie der Vorwurf der Gewaltanwendung, der Planlosigkeit oder gar eigener unlauterer Absichten.

„Am Ende der Tage wird es geschehen…“ Keine Katastrophe wird uns von Jesaja angesagt, sondern eine Welt, in der niemand mehr Schwert oder Faust erhebt und keiner mehr etwas weiß von Gewalt. Und das, obwohl die Welt, in der Jesaja lebte, so gewalttätig war wie die unsere, erfüllt vom Gedröhn der Stiefel und vom Geschrei der Armen, von strategischem Denken und Rüstungswahn. In dieser Welt hat er eine Botschaft auszurichten, und unserer Welt heute haben wir eine Botschaft auszurichten. Die Botschaft heißt: Frieden ist möglich!

Das ist ein schönes, ermutigendes, tröstliches Bild. Ein Bild des Paradieses, ein Bild des Himmels, könnte man meinen. Das wäre unendlich schön, und genau deshalb wäre es zu billig. Denn die Herausforderung dieser Worte liegt darin, dass die Wendung „am Ende der Tage“ eine Zukunft meint, die nicht im Jenseits liegt, sondern für den Propheten in dieser Welt und auf dieser Erde zu verorten ist. Es ist wird auch nicht das Paradies gemalt, auch in der Welt des Friedens bleiben harte Arbeit mit Pflug und Rebmesser, es bleiben Konflikte und Meinungsverschiedenheiten und Streit, der geschlichtet werden muss; es bleiben das Lernen und Verlernen und damit die Notwendigkeit von Bildung, es bleiben Völker und die Politik und die Mühen des Kompromisses. Das ist durchaus noch unsere Welt und unsere Wirklichkeit.

Und dennoch balanciert dieses Wort am Rande der Wirklichkeit. Nicht nur, dass sich keiner von uns vorstellen kann, wie unsere Erde zu einer Welt des Friedens werden kann, geschweige denn, was wir dafür tun sollten. Dazu reicht unsere Phantasie nicht aus.  Das ist ein Wunder. Das bedeutet: Der Prophet rechnet damit: Gott wirkt in der Welt. Gibt es etwas Notwendigeres als dieses Wunder? Man könnte die Sache ja mit guten Gründen auch umgekehrt sehen: Warum sollen Gewalt und Krieg „normaler“ und leichter sein als Frieden und Ausgleich und ein Mindestmaß an Gerechtigkeit? Ist das, was Jesaja hier beschreibt, unserem Herzen nicht näher als die gewalttätige Realität? Bestätigt nicht jeder Friedensnobelpreis, jeder Alternative Nobelpreis, jeder Friedenspreis des deutschen Buchhandels diesen Wunsch, diese Hoffnung, die Notwendigkeit dieses Wunders? Sie zeigen doch, dass wir die Hoffnung auf das Wunder nicht aufgegeben haben und nicht aufgeben können.

„Schwerter zu Pflugscharen“. Wir sind nicht festgelegt auf die Spirale der Gewalt. Wir sind nicht gezwungen, den Totentanz zu tanzen. Immer wieder haben Menschen aus den biblischen Verheißungen die Überzeugung geschöpft, dass die Welt verbesserbar sei. Und diese Verbesserung fängt nicht mit der Technik an, und schon gar nicht an den Finanzmärkten. Sie beginnt bei Jesaja als ein zutiefst spiritueller Weg: „Kommt nun, lasst uns gehen im Licht des Herrn“. Und diese Verbesserung, sie endet in der globalen Politik: „Viele Nationen machen sich auf den Weg“ heißt es bei Jesaja. „Kommt, wir wollen unsere Wege gehen im Licht des Herrn!“

Im Lichte zu gehen ist allerdings etwas anderes als Traumtänzer zu sein, Illusionen nachzuhängen und die Realität des Bösen, der Gewalt, des Hasses zu leugnen.  Doch worauf blicken wir, auch wenn wir noch mittendrin stecken? Wo schlägt mein Herz, worauf hoffen wir, was erbitten wir, ja, wofür kämpfen wir? Blicken wir auf das Schwert als ein Symbol der Wehrhaftigkeit, des Heldentums, des Stolzes? Oder blicken wir auf Pflugschar und Rebmesser, mit der wir uns und andere ernähren und erfreuen? „Kommt, wir wollen unsere Wege gehen im Licht des Herrn!“

Von den Propheten der hebräischen Bibel und von der Bergpredigt Jesu, von Menschen wie Erdem Gündüz, Martin Luther King oder den Menschen mit den Kerzen in den Händen sehe ich mich dabei gestärkt und auch immer wieder beunruhigt. Denn was sie von mir verlangen, ist: Traue der Macht der Gewaltlosigkeit, traue den Utopien, oder als Christen würden wir sagen – den Verheißungen der Bibel, dass eine gerechte und friedlichere Welt nur über den Weg der Gewaltlosigkeit zu erreichen ist.

Aber da ist noch etwas: „Schwerter zu Pflugscharen“ – die Worte des Jesaja beinhalteten schon zu seiner Zeit und auch heute den Appell: Mische dich als gläubiger Mensch in die Welt, in die Politik, in die Gestaltung unserer Gesellschaft ein! Die Kerze in der Hand heißt gerade nicht: Hilflos zaudernd die Hände in den Schoß legen! Der schweigende Protest heißt gerade nicht zu allem Ja und Amen sagen. „I have a dream“ heißt gerade nicht, die Realität zu verschlafen. Jesaja, die Propheten der hebräischen Bibel, die Bergpredigt Jesu fordern mich heraus: Beziehe Position! Sei deutlich! Gib durch dein Reden und mit deinem Leben zu erkennen, dass die biblische Botschaft Partei ergreift. Und das ist alles andere als nur bequem. „Schwerter zu Pflugscharen“. Das war schon zur Zeit des Jesaja eine massive Kritik an der Rüstungsindustrie jener Tage, an denen, die damit Geschäfte machten, dass Menschen statt Pflugscharen Schwerter in den Händen hielten. Deshalb gehört für mich in diesen Gottesdienst auch der eindringliche Appell an unsere Regierung, die ermöglicht, dass Deutschland jedes Jahr für mehrere Milliarden Euro Waffen und Rüstungsgüter in alle Welt liefert – mehr als jedes andere Land in Europa: Beenden Sie die Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien, von wo aus die Waffen in die Krisengebiete unserer Welt gelangen! Denn: Wer Waffen sät, erntet Krieg!

Unsere biblischen Verheißungen, der Weg Jesu, der Traum eines Martin Luther King, die Menschen mit den Kerzen in ihren Händen, der schweigende Erdem Gündüz und viele andere, die den Weg im Licht der Gewaltlosigkeit gehen, die sich einmischen, indem sie prophetisch die todbringende Logik der Waffen entlarven – sie alle und wir heute Abend, die wir uns betend an die Seite der Christen und aller leidenden Menschen in Syrien stellen, erzeugen ein Kraftfeld, das mehr Macht hat, die Welt zu verändern als jeder Krieg – darauf hoffe ich! Daran glaube ich! Amen.